Schaugarten Saubergen

 

Tempietto im Schaugarten Saubergen von Architekt DI Dr. Oliver Österreicher

     

 

MariaBiljan-Bilger
 

 

Vortrag im Künstlerhaus

Maria Biljan-Bilger Vortrag im Künstlerhaus Oliver Österreicher

 

Ausstellungsfolder Maria Biljan-Bilger

 

Stadt des Kindes Maria Biljan-Bilger Hütten

 

Stadt des Kindes Maria Biljan-Bilger Skulptur

 

Stadt des Kindes Maria Biljan-Bilger Skulptur

Maria Biljan-Bilger

Ich durfte im Jahr 2013 einen Vortrag im Künstlerhaus zu Maria Biljan-Bilgers Beitrag zur "Stadt des Kindes" halten, hatte sie doch dafür eine markante Skulptur und Abenteuerhütten gestaltet.

 

Utopien und Sonnenkinder

 Vielen Dank für die Einladung zu dieser Veranstaltung. Mein Name ist Oliver Österreicher, ich habe Architektur an der TU Wien studiert und habe die Ehre, Einblicke in das Schaffen des Architekten Anton Schweighofer erhalten zu haben. Obwohl ich mittlerweile in einigen Architekturbüros gearbeitet habe, ist mir die gemeinsame Zeit vor beinahe 15 Jahre unvergesslich und sie ist unerreicht. Erlauben Sie mir aus meiner persönlichen Anschauung heraus zu sagen, dass er ein großartiger Architekt ist. Jeder Strich und jeder Stein sind Teil einer größeren Theorie.

Die Stadt des Kindes ist kein Gemeinschaftsprojekt. Sie ist das Werk eines Mannes. Und doch gab es eine Frau, die hier avantgardistische Kunst verwirklichte. Die um eine halbe Generation ältere Maria Biljan-Bilger schuf die Skulptur "Sonnenkinder" in der Stadt des Kindes und die farbig bemalten Spielhäuser; Holz-Bottiche, die ursprünglich mit Stroh gedeckt waren.

Bereits einige Jahre 1965 davor machte sie für Schweighofers Kapelle des Kinderdorfes Hinterbrühl den Altar. 1967 gestaltete sie ein Kinderfreibad in Wien Floridsdorf. Die Skulptur "Sonnenkinder" ist die Reflexion des unglaublichen Aufbruchsgeistes der Stadt des Kindes durch diese Künstlerin.

Ich möchte nun einleitend einen Überblick über den theoretischen Hintergrund zur SdK geben. Anschließend möchte ich einen Einblick in die damalige Ausgangssituation und die sozialen Missstände geben und abschließend namhafte Persönlichkeiten zu Wort kommen lassen.

 

1) Einleitung

"nur in der Vorstellung existierend,"

das bedeutet im eigentlichen der Begriff ideal. Ist eine Idealstadt also auch nur eine gestalthaft vorgestellte Sache. Wie wir alle wissen, waren Idealstädte lange Zeit durch betonte Regelmäßigkeit gekennzeichnet.
Mitunter ist es auch weniger die Regelmäßigkeit, als eine Staats- oder Sozialutopie, wie Hanno-Walter Kruft in seinem Buch „Städte in Utopia“ zeigt.
„Utopia“, das erdachte Land, oder der als unausführbar geltende Plan. Kann es utopische, also unausführbare Städte geben?

Kruft fordert von einer Idealstadt einen nachvollziehbaren Reflexionsvorgang auf eine zuvor definierte Utopie. Außerdem muss ästhetische Äquivalenz zwischen Utopie und Form existieren, was natürlich gewissen Interpretationsspielraum zulässt.

Gerd Albers untersuchte Stadtformen. Er spricht, wie auch Kruft, von einem vor allem in den letzten Jahren geänderten Idealstadtbegriff. Dem neuen Idealstadtbegriff liegt keine Utopie zugrunde, sondern eine „Idee“. Auch den verwirklichten Beispielen liegt jeweils ein Modell zugrunde.

So weit in aller Kürze der theoretische Hintergrund zum Thema.

Abschließend vielleicht noch ein aus der Beschäftigung mit diesem Thema erfolgter Versuch einer neuen Definition:

Eine Idealstadt ist eine für eine konkrete Bauaufgabe (oder als Umsetzungsversuch eines Idealstadtmodells gelegentlich gebaute), in gewissen Zeiten durch betonte Regelmäßigkeit gekennzeichnete Stadt, die in idealer Weise die materiellen und ideellen (einschließlich der ästhetischen) Anforderungen erfüllen soll, welche auf Grund der jeweiligen Produktivkräfte eine bestimmte Gesellschaft an die Stadt stellt, egal wie verwirklichbar die Theorie dazu ist (Utopie oder konkrete praktische Überlegungen).

 Grete Demartini, 1974 „Die Isoliertheit von Heimkindern in traditionellen Anstalten zu vermeiden – das war auch das Hauptanliegen von Architekt Anton Schweighofer, der in der Verwirklichung dieses Projektes sein Lebenswerk sieht.“

Nun zur damaligen Situation:

 

2) Erkannte soziale Missstände

Gutachten vom psychologischen Dienst der Stadt Wien glichen mehr einer Beschimpfung als einer Beurteilung. Zum Beispiel: „Sie ist ein reduziertes, emotional kaum ansprechbares, primitives, stumpfes, kontaktgestörtes, kritikschwaches, keine Eigeninitiative ergreifendes Mädchen.“ Das Heim wird von Psychologen als Strafe, nicht – wie in allen offiziellen Broschüren des Jugendamtes – als Hilfe angeboten. Seltsam anmutende „Therapien“ werden von diesem psychologischen Dienst angewandt: Wenn etwa ein Kind in die „Klingelmatratze“ uriniert, leuchtet, durch elektrischen Schluss ausgelöst, ein Wecker; Raufer, die nicht raufen, werden belohnt.

Von schlagenden Erziehern berichtet der Stern einige besonders drastische Beispiele, ebenfalls vom „Nachessen“ in der prallen Sonne (so lange, bis der Teller „sauber geputzt“ ist), vom Finden „Schuldiger“ durch Liegestütze der gesamten Gruppe, von „Streicheleinheiten“ mit dem Schlüsselbund gegen den Kopf, von der „Funkstille im Schlafraum“ und dem befohlenem Abbrechen der Gespräche mitten im Satz bei Überschreiten der Schwelle, vom „Zuckerlessen“ (in einem bestimmten Zeitraum eine gewisse Menge Zuckerl essen zu müssen) und vom Antreten aus Gründen der Disziplinierung in Reih und Glied sowie vom Strafestehen auf Baumstrünken und auf Gängen bis zwei Uhr morgens.
Ein Auflehnen der Jungen gegen althergebrachte Erziehungsmittel ist offensichtlich unmöglich. Entweder sie resignieren und passen sich an – was in der Regel geschieht – oder sie gehen. Die dritte Möglichkeit, sich bei der vorgesetzten Dienststelle zu beschweren, wird fast nie gewählt.

 

Das alles war nicht tragbar; die konkrete Situation führte zur Entstehung des Projekts „Stadt des Kindes“.

Entstehungszeit des Projekts: 1968 (Bau: 1971 - 1974)

- Gemeinderatsbeschluss 1968

„Die Stadt Wien errichtet eine 'Stadt des Kindes', die jenen Kindern eine
Heimstätte bieten soll, die aus verschie­denen Gründen nicht im Kreise ihrer Familien aufwachsen können. Oberste sozialpädagogische Richtlinie soll dabei die Schaffung einer Familiensituation sein, ohne die junge Menschen nicht zu integrierten Mitgliedern der Gemeinschaft heranwachsen können.“

- Richtlinien für den Wettbewerb 1969

„Die ’Stadt des Kindes’ soll allen modernen Ansprüchen der pädagogischen Funktion und der baulichen Einfügung in das Landschaftsbild entsprechen. Die Gliederung der Baukörper muss räumlich klar sein und die richtige Belichtung aller Räume gewährleisten. Bei der Wahl von Fenstergrößen und Formen ist auf Wirtschaftlichkeit im besonderen auch hinsichtlich der Heizung und des Sonnenschutzes zu achten. Die gesamte Anlage soll möglichst in Grünflächen eingebettet werden und landschaftsgebunden sein. Der im Osten des Grundstücks liegende Anteil des Lainzer Tiergartens (Große Weidlingauerwiese) soll nicht bebaut werden und grundsätzlich Spiel-, Sport- und Erholungsflächen Platz bieten.“
Entsprechend der Organisation einer Stadt ist die ‘Stadt des Kindes’ als ein Modell einer solchen zu sehen. (Anm.: Die Forderung nach einem Prototyp!) Daher sind bestimmte Funktionen zusammengefasst und sollen modellmäßig einer Großstadt entsprechen.
Es sind dies: das Rathaus ..., das Freizeitzentrum ..., das Sportzentrum ..., das Wirtschaftszentrum ...“

 

Die konktrete „Stadt des Kindes“ wurde als ein Projekt auf Grundlage der Forderung nach neuen städtischen Wohnformen geplant.

Eine Grundlage für die bauliche Erscheinung der „Stadt des Kindes“ bildete Schweighofers Auseinandersetzung mit der Notwendigkeit neuer städtischer Wohnformen. Er erachtete neue städtische Wohnformen deshalb als notwendig, da seiner Meinung nach, ich zitiere, „…die traditionellen Formen des Wohnens in der Stadt durch die geschichtliche Entwicklung der Zusammenhänge und Notwendigkeiten unbrauchbar geworden sind und neu interpretiert werden müssen. Warum: Um das Wohnen mit der Stadt – einem Gebilde aus horizontaler und vertikaler Verflechtung der Funktionen – wieder zu ermöglichen. Wo: An den Konzentrationspunkten städtischer Aktivität, weil der privat-intime Bereich für ein Leben mit der Stadt den öffentlichen durchdringen muß! Wann: Heute!“

Wie ernsthaft die Theorie und die Durcharbeitung des Projektes „Stadt des Kindes“ sind, zeigt eine Beschäftigung mit anderen Projekten des Architekten bzw. eine Beschäftigung mit seiner Person. Konkret sieht man in den Werken Schweighofers seinen hohen Anspruch an Architektur, zum Beispiel in der Schaffung von Prototypen (Werkstätten, Raumlandschaften...). Eben im Rahmen dieser Betrachtung sind Querverbindungen zu anderen Personen interessant. Schweighofer vereinigt so viele Ansprüche an Architektur, dass seine Architektur im Kontrast zu aktuellen Strömungen gesehen wird und deshalb vergleichbare Personen (trotz partieller Übereinstimmungen) nicht gefunden werden konnten.

Die Arbeiterzeitung schrieb 1971: „Es gibt auf der ganzen Welt kein Vorbild für die ‘Stadt des Kindes’.“

Vergleichbare Architekten: Pia Dumont
Sie beschreibt in ihrer Abschlussarbeit punktuelle Ähnlichkeiten im architektonischen Ausdruck der „Stadt des Kindes“ mit dem Werk namhafter Architekten.

Vergleichbare Nutzungen: Dieter Bilz
Er beschreibt  neben der „Stadt des Kindes“ 30 internationale Beispiele von 1972 aktuellen Kinder- und Jugendheimen.

Vergleichbare Pädagogik: Kathrin Pallestrang
Mit ihrer Diplomarbeit liegt ein soziokultureller Vergleich zwischen dem
SOS-Kinderdorf Hinterbrühl und der „Stadt des Kindes“ vor.

 

Fachleute verschiedener Profession im In- und Ausland haben die Stadt des Kindes analysiert:

3) Analysen zur „Stadt des Kindes“

Franz Ryznar (Analysearbeit im Rahmen des Architekturstudiums an der TU Wien) zeichnet einen ’verbalen Lageplan’ in dem er die Lage der Körper, Zugänge und Verbindungen beschreibt.

Christian Kühn (Architekturkritiker) sieht Nutzungen und Strukturen in größerem Zusammenhang. Er beschreibt die Lage der Bauteile zueinander als Raumerlebnis.

Jürgen Joedicke (ursprünglich Mathematiker, Architekturtheoretiker, Architekturkritiker und -lehrer – ehem. Stuttgarter Hochschule) betrachtet den Raum: Er nennt die Prinzipien der räumlichen Anordnung (Zuordnung von relativ schmalen und niedrigen Räumen zu relativ großen und hohen Räumen; Gliederung unterschiedlicher, ineinander übergehender) der Gliederung und der dreidimensionalen Erlebbarkeit.

Pia Dumont verfasste ihre Abschlussarbeit über die „Stadt des Kindes“ an der freien Universität Brüssel. Sie beschreibt Zusammenhänge zwischen Schweighofers „Stadt des Kindes“ und den Werken von Adolf Loos, Le Corbusier, Josef Frank und Alvar Aalto.

Emmerich Simoncsics (Honorarprofessor am Institut für Gebäudelehre) forschte in Zusammenarbeit mit der TU Budapest an der Fassade. Das Rhythmusbild der Musiksprache wurde nach einer Strukturanalyse entwickelt.

Bodo Hell (Schriftsteller) konstruiert eine literarische Aneinanderreihung von (verklärten) Beschreibungen mit Gedanken des Konzepts und der Führungspraxis.

Ernst Gehmacher (Sozialwissenschaftler) ordnet die „Stadt des Kindes“ in die Erziehungsgeschichte ein und beschreibt Axiome: Repräsentation sozialer Großzügigkeit, Auslegung des Baus auf stark prägende Gemeinschaftswirkung, Nutzung durch urban nicht so stark ’vernetzte’ Personenkreise.

Es gibt auch romantische Beschreibungen der „Stadt des Kindes“:

Michael Guttenbrunner (Kärntner Dichter und Widerstandskämpfer)
„Ein Bau als Meeresbucht und Hafenstadt. Dunkel blickt der Ozean auf die geschützten und dennoch frei zugänglichen Werke des Hafens; weiß leuchtet dieser, Millionen Augen entgegen, hinaus auf die Flut.“

Heidi Pataki (Redakteurin, Lyrikerin und Essayistin)
„Von fern wirkt die ‘Stadt des Kindes’, als wollte sie auf und davon fliegen - ein großer Vogel, die schrägen Schwingen aus Glas an den Steinleib gepresst, nur darauf wartend, bis der Wind der Geschichte umschlägt: ein Wolkenkükensheim.“

Einordnungsversuche zur Architektur Schweighofers:

Alberto Sartoris
Ein phantasievoller Rationalist: „Die Architektur Schweighofers zeigt klare Stimmigkeit und Inhalt, geboren aus einem Eifer, der keinen Bruch mit der Gegenwart darstellt, sondern mit der Zeit geht, sich aber entschieden trennt von formalistischen und akademischen Konventionen gewisser aktueller Strömungen.“

Friedrich Achleitner
„Es ist schwer Anton Schweighofer in die Wiener Tradition einzuordnen. Sein Vokabular zeigt internationale Tendenzen. Die Wichtigkeit seiner Arbeit liegt darin, dass seine Aufgabe mit einer starken sozio-antroposophischen Motivation einen humanen Aspekt repräsentiert, der in der Wiener Architektur-Rationalität fehlt.“

Christian Kühn
Er bezeichnet Schweighofers Arbeit als „Verbindung von Rationalismus und klassischen Prinzipien“.

Walter M. Chramosta
„Anton Schweighofer erweist sich ... als ein Könner am Rande des architektonischen Hauptstroms und der sich selbst überholenden Moden. Bei ... der Umdeutung des Naheliegenden in einen überraschenden Nutzungszusammenhang erzielt Schweighofer seine nachhaltigsten Erfolge.“

Michael Guttenbrunner meinte 1989, Schweighofers Denken und Trachten geht ins Allgemeine, und zwar radikal, so dass man bei ihm nie sicher ist, nicht auf die letzten Fragen zu stoßen.

... In seiner Totalität formt das Werk von Schweighofer ein wichtiges Oeuvre für die Österreichische Architektur von heute...
Wim J. Van Heuvel, 1977

Schweighofer selbst zur SdK, 1982: „Die ‘Stadt des Kindes’ ist der Versuch, einem heterogenen zersiedelten Bereich an der Peripherie Wiens einen zentralen, signifikanten und für die Bewohner gut brauchbaren Ort zu geben. Dass dieser Ort gleichzeitig Wohn- und Spielstätte für eine Randgruppe der Kinder und Jugendlichen in Wien sein sollte, war die außergewöhnliche Chance dieser Aufgabe.“

Das ist also die Umkehrung des Integrationsgedankens: Nicht die Kinder und Jugendlichen der Anlage sollten in die (ländlichen) Strukturen des Bezirks, sondern die Bewohner des Bezirks sollten in die großstädtische Struktur des neuen Zentrums – in die „Stadt des Kindes“ – integriert werden. Durch das große Nutzungsangebot war die „Stadt des Kindes“ ein Bezugspunkt für die Freizeitgestaltung der Umgebung. Die Schaffung des städtebaulichen Zentrums dient der Verbindung aller Bewohner. Die Aspekte „Öffnung und Angebot“ und „Öffnung und Durchwegung“ sind durch ihre Überlagerung verstärkt und können als das „offene Konzept“ bezeichnet werden.

4) Die städtische Umwelt

In der „Stadt des Kindes“ ist die städtische Umwelt für Stadtkinder erfüllt durch:

Baukörper: Die Bebauung entlang der Erschließungsstraße der „Stadt des Kindes“ ist einer normalen Stadtstraße in Bezug auf Höhe und Dichte ähnlich.

Nutzung: Die Stadt bietet im Kleinen all das, was eine normale Stadt auch hat. Die Nutzungsangebote in der dicht bebauten „Stadt des Kindes“ sind auf engstem Raum vorhanden. Die Nutzung ist Teil des utopisch urbanen Gesellschaftsentwurfes: Urbanität: „Der Begriff der Urbanität bezeichnet eine kulturell-gesellschaftliche Lebensform und nicht die Qualität einer besonderen städtebaulich-räumlichen Struktur.“

Aufforderungscharakter: Die kompakte Anlage fasst das Angebot für die Bevölkerung zusammen. Durch dieses weit gestreute Angebot sollten alle Bewohner ermuntert werden, am öffentlichen Leben des Stadtzentrums teilzunehmen.

Zentralität: Im Zusammenhang mit der Bedeutung der Anlage als Umwelt für Kinder ist Zentralität weniger geografisch, als im Sinne einer Deutung von „bedeutend und wichtig“ zu verstehen. Die Kinder wohnen am „wichtigen Ort“ der Region.

Ökologie: Die Stadt steht notwendigerweise im Gegensatz zur Natur. Die „Stadt des Kindes“ ist anders als Schweighofers Konzept für das Kinderdorf in Indien. Es gibt keine aufgelockerte Strukturierung von Familienhäusern, sondern die kompakte Anlage, die im Gegensatz zur Natur des Wienerwaldes steht. Es ist eine Suche nach der Vereinbarkeit von Gegensätzlichem, ein „Zwillingsphänomen“. Die Grenze von Stadt und Natur ist nicht so scharf gezogen: Es gibt die städtebauliche Verzahnung der Familienwohnhäuser mit dem Wienerwald, das Hereinholen des Grünraums in Form von Bepflanzung auf den Plätzen; es gibt die Öffnung der Fassaden in Form von Verglasungen zum Grünraum. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang auch die Verkehrsminderung in der Anlage.

Mischung: Die durch das architektonische Konzept angestrebte Mischung der Wohnmilieus (Familien mit Pflegekindern an der Bebauung entlang der Mühlberggasse) wurden aus Kostengründen nicht verwirklicht. Eine für eine Stadt notwendige Mischung der Nutzer (durch Mischung der Nutzungen) konnte im „Hereinholen der Bevölkerung“ mittels des Angebots sowie durch das „Hinausgehen der Bewohner“ in öffentliche Schulen und Kindergärten erreicht werden. Schule und Kindergarten waren im Sinne einer „notwendigen Raumprogrammerweiterung“ des Konzepts in der Anlage integriert, was zusätzliche Integrationswirkung für die Bevölkerung gehabt hätte. Die Konzentration von Nutzungen in einer kompakten Anlage und die Vermeidung des motorisierten Verkehrs sind wirksame Mittel zur Belebung der Anlage.

Kann man an der Peripherie einer Stadt wie Wien ein städtebauliches Zentrum errichten?

Als Vorteil erachten den Standort:

Maria Jacobi, Wohlfahrtsstadträtin –
mit Verweis auf die von der „Sintflut Verkehr“ überschwemmten Innenbezirke und die spielhungrigen Kinder

Michael Guttenbrunner, Dichter –
mit Verweis auf den Jugendort des Kinderfreundes Karl Kraus

Hans Matz, Direktor der „Stadt des Kindes“ –
mit einem Bericht aus der Praxis: „Die Kinder ... nehmen auch am kulturellen Leben der Stadt teil – die Heimsituation ist, auch in den Augen der Bevölkerung, überwunden.

„Bau im Spiegel“ und „Der Aufbau“ –
als wesentliche Aufwertung der städtebaulich weniger dicht verbauten Umgebung.

Christian Kühn, Architekturkritiker, über die „Stadt des Kindes“:
Unter den Sozialbauten der Stadt Wien verdient sie für die Zweite Republik jenen Stellenwert, den der Karl-Marx-Hof für die Erste Republik einnimmt. Im Unterschied zu dem geschlossenen, festungsartigen Charakter ist die ‘Stadt des Kindes’ mit ihrer Öffnung und Durchwegung auch als Symbolbau für ein geändertes Selbstverständnis der Wiener Sozialdemokratie zu würdigen.“ Die Symbolwirkung wird vor allem psychisch gesehen: in der Öffnung der Anlage.

Entlang des „roten Bandes“ öffnen sich die Betonwände zu den Freiflächen zwischen den Familienwohnhäusern.

Michael Guttenbrunner, Dichter, über Karl Kraus, der in Weidlingau seine Jugend: „In einem Lied, das Kraus im Rückblick auf seine Jugend geschrieben hat, heißt es:

Ja, dort in Weidlingau,
in jenem Alter,
war mir der Himmel blau,
roth war der Falter!“
Das „rote Band“ kommt aus dem Eingangsbereich heraus und verbindet die Familienwohnhäuser mit dem Turm des Personalwohnhauses. Die Erschließung ist klar und übersichtlich. Die Eingangssituationen entstehen durch offene Höfe.

 „Schweighofer ist der Meinung, dass die ‘Stadt des Kindes’ keinen ghettoartigen Charakter haben darf, sondern in der angrenzenden und neu zu schaffenden Stadtstruktur möglichst sinnvoll integriert zu sein hat. Er will sein Projekt als ’Zentrum eines Stadtteils’ verstanden wissen.“ Diese Gefahr bestand, da ein negatives Heimimage vorhanden war.

Für Otto Niedermoser und Friedrich Achleitner wirkt Schweighofer sehr
überlegt gegen die Gefahr der Gettobildung:

Otto Niedermoser, Bühnenbildner und Architekt:
Architektur wird zum Ausdruck eines gesellschaftlichen Konzepts...“

Friedrich Achleitner, Architekturkritiker:
„...Verbindung der Bewohner mit dem Dorf (Anm.: gemeint ist das SOS-Kinderdorf in Indien) durch Interessen und Sachzwänge.“

Ottokar Uhl, Architekt, bezeichnet die „Stadt des Kindes“ als „Ghetto, das mit Attraktionen aufgebrochen wurde.“

Wenn Uhl die „Stadt des Kindes“ als Getto bezeichnet, so kann er damit nur die Peripherie des Standortes meinen. Entsprechend der Definition des Wortes „Getto“ müsste die Anlage von ihrer Umgebung auch isoliert sein. Dass sie dies nicht ist, räumt Uhl selbst ein, indem er auf die Attraktionen hinweist.

Jürgen Joedicke, 1975: Er beschreibt, dass „... dieser Bau in seiner räumlichen Differenzierung kaum von Fotomaterial her erfasst werden kann.“

Wim J. Van Heuvel, 1977: „... Ich habe mich geärgert, weil ich nie genug auf ein Foto bekam. Ich wusste schon an Ort und Stelle, dass es mir nicht gelingen würde, oh Leser, ein reales Bild dieser eingebauten Räumlichkeit zu geben.“

 

Das Gebäude ist verwirklicht; durch Schaffung der Möglichkeiten ist es keine Utopie mehr.

Bei unserer Betrachtung geht es nicht nur um die geschaffenen Möglichkeiten, sondern auch um deren Nutzung. Die Vision des Architekten – also sein Zukunftsentwurf –  berücksichtigt den Nutzer.
Nutzung und Integrationswirkung des erdachten Konzeptes der „Stadt des Kindes“ waren im Sinne seines Zukunftsentwurfes (Vision) verwirklicht.

Dies auch, wenn die Nutzung teilweise nicht besonders intensiv war (vgl. Bärbel Licht – Mehrzwecksaal) oder zu Beginn in Frage gestellt wurde (Nettel, Feuerstein).

Robert Nettel (Erzieher und Betriebsrat in der „Stadt des Kindes“),1976: „Jeder Versuch, über die hierzulande geltenden Grenzen politischen Engagements im Rahmen der Sozialarbeit hinwegzusehen und Pädagogik gleichsam als revolutionäre Aufgabe zu betrachten, muss früher oder später fehlschlagen und im Märtyrertum enden.“

Günther Feuerstein (Architekt und Architekturtheoretiker), 1974: „Eine Nummer zu groß – oder zehn Jahre zu früh? ... Ist die Zeit noch nicht reif für eine solche Idee?“

Die Zustände in den Wiener Heimen (wie sie vom „Stern“ beschrieben wurden) würden eher danach fragen lassen, wie lange dieses Projekt zu spät kommt.

Ästhetik und sozialistische Utopie halten sich auf hohem Niveau die Waage, wie mehrfach bestätigt wurde

- Friedrich Achleitner:        „...Die auf Transparenz ange­legte Architektur liefert der
inhaltlichen Konzeption eine adäquate Form...“

- Otto  Niedermoser „Es ist sehr selten eine Arbeit zu finden, in welcher sich
Leitidee und Gestaltung, gesellschaftlicher und künstlerischer Wert, Funktionsgerechtigkeit und Ökonomie in gleich hoher Qualität die Waage halten und von Jury und Auftraggeber anerkannt werden.“


Dienen die sozialen Verbindungen der Erziehung zu besseren Menschen (durch bessere Architektur)?

Wechselweise Abhängigkeiten von Mensch und Architektur wurden formuliert.

Alexander Mitscherlich, Psychoanalytiker und Sozialpsychologe: Er sieht Städte als Prägestöcke.

Günther Feuerstein, Architekt und Architekturtheoretiker: Er erkennt eine
Sozialikonographie in der “Stadt des Kindes“.

Ingrid Breser (Psychotherapeutin) und Joachim Hinsch (Psychologe):
Sie sehen die Übernahme von Verhaltensmechanismen aus den Strukturen der „Stadt des Kindes“.

Ernst Gehmacher (Sozialwissenschaftler) – „Als Bauwerk repräsentiert die „Stadt des Kindes“ eine Epoche und ein Ideal: die nüchtern-rationale soziale Großzügigkeit der 70er Jahre und der Traum von „Kinder­dörfern“ und „Kinderstädten“, die den „neuen Menschen“ erziehen.“

 

Wie wurde / wird der Entwurf bewertet?

Eine aufschlussreichere Bewertung des Entwurfs als sie die Jury liefert geben Sokratis Dimitriou, Jürgen Joedicke und Christian Kühn:

Sokratis Dimitriou
„Anton Schweighofer hat bei seiner Interpretation des Wettbewerbsprogramms viel Mut bewiesen. Er hat dessen Widersprüche aufgelöst und ein einheitliches, von einem klaren Grundgedanken getragenes Entwurfskonzept geliefert.“

Jürgen Joedicke
„Wettbewerbsentwurf und ausgeführter Bau sind in allen wesentlichen Teilen
identisch; ein Anzeichen dafür, mit welcher Konsequenz der Architekt von Anfang an vorgegangen ist.“

Christian Kühn
„Statt das Areal weitläufig mit Pavillons zu bebauen, wie es in der Ausschreibung des Wettbewerbs angeregt wird, schlägt Schweighofer eine kompakte vier- bis fünfgeschossige Anlage vor.“

Die drei Reaktionen zusammengefasst: das Hinwegsetzen über die Wettbewerbsaufgabe und die Konsequenz der Durcharbeitung.